Job wechseln – ja oder nein?
Was macht ein Jobwechsel mit unserer Psyche?
Claudia ist unglücklich im Job. Vor 3 Jahren ist sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern noch einmal umgezogen. Die anschließende Jobsuche gestaltete sich aufgrund der Pandemie schwierig, so dass die Juristin letztendlich froh war, überhaupt eine Stelle zu bekommen.
“Eigentlich habe ich von Anfang an gemerkt, dass mich die Tätigkeit überfordert. Aber es war nicht nur das. Dadurch, dass ich mitten in der Corona-Zeit gewechselt bin und direkt im Homeoffice war, habe ich kaum Kontakt zu meinen Kollegen gefunden. Mir fehlt dieses Miteinander, der nette Austausch so zwischendurch. Auch heute noch arbeiten viele von zuhause aus. Ich fühle mich nicht richtig angekommen und isoliert. Die Arbeit ist dadurch noch mehr eine Quälerei. Dazu kommt meine ständige Angst, etwas falsch zu machen und gekündigt zu werden. Am liebsten würde ich selbst hinschmeißen und mir etwas anderes suchen, aber ich habe Angst vor dem Bewerbungsprozess. Was ist, wenn keiner mich will?”
Jeder Jobwechsel wirkt sich auf unser Selbstbewusstsein aus
Gerade beim Impostor-Syndrom ist es daher nicht ganz einfach, zu entscheiden, ob es sinnvoller ist, den Job zu wechseln oder sich weiter durchzubeißen. Im falschen Job zu bleiben kann für unsere psychische Gesundheit und für das Selbstbewusstsein genauso schädlich sein, wie aus den falschen Gründen zu kündigen.
Denn jede berufliche Neuorientierung kostet Kraft und kann ein bereits bestehendes Impostor-Syndrom verstärken (hier erfahren Sie, warum es mit Impostor-Syndrom besonders schwer ist, sich beruflich zu verändern). Zudem kann es sein, dass wir mit einem Jobwechsel nur vom Regen in die Traufe geraten.
Wenn wir nur deswegen wechseln wollen, weil wir uns ständig unfähig fühlen und Angst davor haben, irgendwann aufzufliegen, so ist es sehr wahrscheinlich, dass wir diese Gefühle am nächsten Arbeitsplatz ebenfalls entwickeln werden. Das Impostor-Syndrom nehmen wir nämlich mit.
Das Problem ist dann mit einem Jobwechsel nicht gelöst. Selbst wenn wir uns eine Tätigkeit mit deutlich weniger Verantwortung aussuchen, die uns zunächst nicht so überfordert, nehmen mit der Zeit die Verantwortungen und auch die Erwartungen des Umfelds zu. Über kurz oder lang werden die Betroffenen wieder vor dem gleichen Problem stehen und stellen sich erneut die Frage: Gehen oder Bleiben?
Ist es also bei Impostor-Syndrom besser, im Job auszuharren?
Leider ist die Antwort nicht so einfach. Denn auch das Bleiben im falschen Job kann das Impostor-Syndrom verstärken.
Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, die für eine berufliche Zufriedenheit wichtig sind (z.B. ein gutes Arbeitsverhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen, ein angemessenes Gehalt, eine gute Arbeitsstruktur und eine sinnvolle Tätigkeit), macht dies unzufrieden und kann im schlechtesten Fall den Selbstwert angreifen und zu psychischen Erkrankungen führen.
Oft spüren wir, dass diese Art zu arbeiten uns nicht gut tut, wir scheuen aber einen Jobwechsel, weil wir Angst vor dem Bewerbungsprozess haben. Wie sollen wir denn andere von unseren Fähigkeiten überzeugen, von denen wir doch selbst nicht überzeugt sind?
So wird die Entscheidung, zu gehen, immer wieder aufgeschoben, und die Betroffenen leiden, brennen körperlich und psychisch aus und trauen sich immer weniger zu, eine neue, passendere Stelle zu finden.
Wie können wir uns richtig entscheiden? Wann ist es besser, zu bleiben? Wann ist es besser zu gehen?
Das spricht dafür, im Job zu bleiben
- Ihre Kollegen und Ihre Vorgesetzten sind mit Ihnen zufrieden, Sie erhalten regelmäßig gutes Feedback. Dass Sie dennoch lieber kündigen würden, liegt vor allem daran, dass Sie Angst haben, die hohen Erwartungen irgendwann zu enttäuschen.
- Sie bekommen mehr Verantwortung übertragen. Sie trauen sich diese nicht zu und denken daher über einen Jobwechsel nach.
- Je mehr Sie gelobt werden, desto mehr fühlen Sie sich wie ein:e Betrüger:in. Sie überlegen, lieber zu gehen, bevor Sie sich so richtig kräftig blamieren.
- Gegenüber Kunden fühlen Sie sich ständig unter Druck, einen bestmöglichen Eindruck zu machen. Diese Kundengespräche rauben Ihnen den Schlaf, obwohl es bisher noch nie Beschwerden von Kundenseite gab. Um dem Druck endlich zu entkommen, suchen Sie eine neue Stelle, bei der Sie sich nicht ständig beweisen müssen.
Wenn Sie sich in einem oder gar mehreren der oben aufgelisteten Punkte wiederfinden, rate ich Ihnen, nicht sofort den Job zu wechseln. Denn das Problem ist vermutlich Ihr Selbstbild, das gestört ist. Andere nehmen Sie deutlich kompetenter wahr. Und das wird wohl auch im neuen Job so bleiben.
Während Umgebung, Kollegen, Vorgesetzte, Kunden meist zufrieden mit Ihren Leistungen sind, fühlen Sie sich unfähig, haben Angst, die Erwartungen zu enttäuschen, und wollen daher lieber fliehen.
In diesem Fall ist es jedoch sehr wahrscheinlich, dass Sie bald wieder in einer vergleichbaren Situation stecken werden. Hier ist es sinnvoller, am eigenen Selbstbild zu arbeiten, das Impostor-Syndrom anzugehen und Selbstvertrauen aufzubauen.
Das spricht dafür, den Job zu wechseln
- Die Jobkonditionen (Arbeitsumgebung, Arbeitsstruktur, Bezahlung, Art der kollegialen Zusammenarbeit) entsprechen nicht dem, was Sie brauchen, um gut arbeiten zu können.
- Inhaltlich macht Ihnen die Tätigkeit keinen Spaß. Was Sie tun, kommt Ihnen sinnlos und nichtig vor.
- Sie können sich nicht mehr mit der Firma/dem Arbeitgeber identifizieren.
- Die Zusammenarbeit mit Ihren Vorgesetzten gestaltet sich schwierig. Sie fühlen sich oft nicht gesehen und nicht wertgeschätzt.
- Sie denken oft an einen Jobwechsel – was Sie jedoch zurückhält ist der Gedanke daran, sich wieder bewerben zu müssen
- Sie haben Angst vor dem Neuen und davor, was dann auf Sie zukommen könnte und dass Sie doch sowieso dort auch wieder scheitern könnten.
Hier steht nicht so sehr die Angst, zu enttäuschen, im Vordergrund, sondern es passt in anderen wesentlichen Arbeitsbedingungen nicht.
Selbst wenn Sie an Ihrem Selbstbild arbeiten und erkennen, dass Sie doch nicht so unfähig sind, wie Sie vielleicht dachten, bleiben die Arbeitsbedingungen dennoch bestehen.
Falsche Arbeitsbedingungen können das Selbstbewusstsein ebenfalls reduzieren. Wenn Sie sich zu sehr in Ihrer Persönlichkeit verbiegen müssen, um zu passen, bekommen Sie immer mehr das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Dabei liegt es gar nicht unbedingt an Ihnen, sondern am Arbeitskontext.
In diesem Fall ist es besser, zu kündigen und sich einen Job zu suchen, der Ihnen inhaltlich wie auch von der Arbeitsweise her besser liegt.
Die Angst als Wegweiser
Eine weitere Möglichkeit, trotz Impostor-Syndrom die richtige Entscheidung zu treffen, ist diese: Stellen Sie sich vor, Sie hätten genug Vertrauen in Ihre Fähigkeiten.
Wenn Sie die Garantie hätten, sofort eine neue, passende Stelle zu finden und die Probezeit gut zu überstehen – würden Sie dann noch bleiben?
Und umgekehrt: Wüssten Sie ganz genau, dass Sie Ihren jetzigen Herausforderungen gewachsen sind, würden Sie dann wechseln?
Kurz gesagt: Wo die Angst ist, da geht’s lang.
Wenn alles dafür spricht, dass der aktuelle Job unpassend ist (weil die inhaltliche Arbeit, die Kollegen/Vorgestzten und/oder die Umgebungsfaktoren längst schon nicht mehr stimmen, und Sie nur aus Angst vor dem erneuten Bewerbungsprozess und der Probezeit haben, sollten Sie einen Wechsel in Kauf nahmen
Wenn dagegen eigentlich alles im aktuellen Job stimmig ist, Sie Sinn aus Ihrer Arbeit ziehen, sich bei Ihren Kollegen wohl fühlen, und die einzige Angst die ist, irgendwann die zunehmende Verantwortung nicht mehr zu schaffen und Ihr Umfeld zu enttäuschen, ist ein Wechsel die falsche Entscheidung.
Aber ganz egal ob ein neuer Job oder der alte: Das Impostor-Syndrom macht Ihr Leben schwer. Arbeiten Sie daran, Selbstvertrauen aufzubauen und Ihre Kompetenzen immer besser zu erkennen. Dann können Sie die für Sie passende Entscheidung treffen.