Meine Geschichte
Dass ich einmal mit so viel Leichtigkeit und Freude Interviews geben und andere Menschen beraten würde, hätte ich mir früher nicht träumen lassen.
Ich wäre vermutlich beim Gedanken an ein Live-Interview im Radio sofort davongerannt. Hätte ich gehört, dass mich jemand eine Expertin nennt, hätte ich diejenigen vermutlich ausgelacht.
Heute habe ich Spaß daran, mein Wissen weiterzugeben. Und ganz besonders erfüllend und bereichernd empfinde ich es, Menschen aus vielen unterschiedlichen Lebenssituationen online zu coachen und ihnen dabei zu helfen, dass auch sie Dinge wagen, die sie lange nicht für möglich hielten.
Mein langer Weg heraus aus dem Impostor-Syndrom
Das Selbstvertrauen und die Leichtigkeit, die ich nun habe, waren nicht immer vorhanden. Ganz im Gegenteil: Auch ich war sehr lange durch starke Selbstzweifel gehemmt. Seit meiner Kindheit habe ich unter dem Impostor-Syndrom gelitten.
Natürlich kannte ich damals weder diesen Namen noch konnte ich einordnen, was das bedeutete. Ich wusste nur, dass ich etwas zu verbergen hatte. Ich war anders als die fähige Person, die die Menschen in mir sahen. Und ich hatte das Gefühl, höllisch aufpassen zu müssen, dass mir niemand auf die Schliche kam.
Je mehr Erfolg, desto mehr Druck
Zum ersten Mal wurde mir dies beim Judo bewusst. Was als Freizeitsport mit viel Spaß begonnen hatte, wurde immer mehr zur Belastung, je besser ich wurde. Denn mein Trainer, meine Familie, meine Teamkolleginnen dachten tatsächlich, dass ich Judo könnte. Dabei hatte ich doch nur Glück, dass ich zufällig immer die leichten Gegnerinnen erwischt hatte. Irgendwann würde mein Glück mich verlassen und ich würde alle enttäuschen. Das ging so weit, dass ich auf jeder Hinfahrt zu Turnieren unter starker Übelkeit bis hin zu Brechreiz litt, auf der Rückfahrt dagegen ging es mir jeweils ausgezeichnet.
Auch im Medizinstudium merkte ich immer mehr, dass etwas nicht stimmt. Angeblich sollte ich doch so intelligent sein. Warum also um Himmels willen musste ich dann plötzlich so viel lernen und schrieb trotzdem keine Bestnoten?
„Was sollen denn meine Patienten denken?“
Die Hoffnung, dass meine starken Selbstzweifel mit Abschluss des Studiums von selbst verschwinden würden, erfüllte sich nicht. “Ich kann doch den Patient*innen nicht sagen, dass ich Anfängerin bin und keine Ahnung habe. Sonst verliere ich doch deren Vertrauen und verunsichere sie.” So mogelte ich mich durch und versuchte, Zuversicht auszustrahlen, die ich gar nicht hatte.
Als ich dann 2009 an die Uni Tübingen in den Bereich Psychosomatik wechselte, wurde es noch schlimmer mit meinen Zweifeln, denn die Schicksale und die psychischen Probleme der Patient*innen berührten mich sogar noch stärker als die körperlichen Leiden, die ich in der inneren Medizin und der Allgemeinmedizin behandelt hatte. Zudem war ich durch die Aufgaben in einer Uniklinik, die über die reine Patientenversorgung hinausgehen und auch Engagement in Forschung und Lehre verlangen, noch weiter herausgefordert. Ich fühlte mich unzulänglich und klein.
Die eigenen Fortschritte sieht man nicht
Zum Glück hatte ich eine sehr gute Supervisorin, die nicht nur lobte, sondern auch konkrete und dabei konstruktive Kritik ausübte. Dadurch lernte ich, mich besser einzuschätzen, auch wenn ich immer noch überzeugt war, dass ich insgesamt zu positiv bewertet wurde. Selbst das aufbauende Feedback meiner Patient*innen und meiner Kolleginnen beruhigte mich nicht. Sie bekamen ja nicht alles mit. “Wenn die wüssten, wie es manchmal in meinem Kopf aussieht, würden sie ganz anders über mich denken.“
Um meine vermeintliche Unzulänglichkeit zu reduzieren, strengte ich mich an. Ich gab mir Mühe, lernte auch in der Freizeit, besuchte Weiterbildungen. Schloss zunächst die Facharzt-Weiterbildung für Allgemeinmedizin ab und wurde dann auch Fachärztin für Psychosomatik. Die einzige, der nicht auffiel, welche Kompetenz ich mittlerweile erworben hatte, war ich selbst.
Als mir 2017 die Stelle als Oberärztin angeboten wurde, erklärte ich mir dies vor allem durch meine Loyalität und weil ich so sympathisch war. An meinen Fähigkeiten konnte es ja nicht liegen, denn ich hielt mich nach wie vor für allenfalls durchschnittlich gut. Um meine Kollegen und meinen Chef nicht zu enttäuschen, bewarb ich mich auf die ausgeschriebene Stelle. Zu meiner Überraschung bekam ich sie dann sogar.
„Ich bin doch keine Oberärztin“
Damit begann die schwierigste Zeit meines bisherigen Berufslebens. Ich war nun Leiterin der psychosomatischen Tagesklinik an einer Uniklinik und hatte deutlich mehr Verantwortung und eine Vielfalt an neuen Tätigkeitsbereichen. Obwohl alle anderen mit mir zufrieden waren, haderte ich mit der Position als Oberärztin. Ich fühlte mich nicht zugehörig, da ich ganz bestimmte Vorstellungen davon hatte, wie eine Oberärztin sein sollte, und diesem Idealbild nicht im Mindesten entsprach. Ich sollte eigentlich kompetenter, klarer, durchsetzungsfähiger, aufmerksamer, gesprächsbereiter, strukturierter und vieles mehr sein.
Meine Selbstzweifel wurden immer stärker, ich schlief schlechter, geriet unter Druck, fürchtete mich vor Visiten und Besprechungen. Vermutlich machte ich alle Fehler, die man so als neue Führungskraft so machen kann, weil ich mich selbst ständig infrage stellte und erwartete, dass die anderen dies auch tun würden.
Eine Lösung für meine Selbstzweifel muss her
In dieser Zeit der Belastung wurde mir klar, dass ich so nicht weitermachen konnte. Ich erinnerte mich daran, dass ich doch Psychotherapeutin war, und meinen Patient*innen tagtäglich dabei half, ihre Selbstzweifel abzubauen. Warum also sollte ich nicht auch mir helfen können?
Ich eignete mir Wissen über das Impostor-Syndrom an und erfuhr dabei, dass meine Wahrnehmung verzerrt war und ich mich weder auf meine Sinne noch auf meine Gefühle verlassen konnte. So begann ich Schritt für Schritt alles zu hinterfragen, wovon ich bisher überzeugt war. Ich sammelte die Abschiedskarten meiner Patient*innen als Beweis dafür, dass ich nicht so schlecht sein konnte, und schrieb mir die positiven Rückmeldungen meines Teams auf, anstatt sie gleich wieder im Kopf zu relativieren.
Neue Herausforderungen nahm ich an und konzentrierte mich anschließend darauf, was ich gut gemacht hatte, anstatt mir wie bisher alle möglichen kleinen Fehler vorzuwerfen.Ganz langsam verschob sich dadurch der Blick auf mich selbst. Ich fand meinen Frieden in der Rolle als Oberärztin, die unruhigen Nächte ließen nach und ich ging wieder gern zur Arbeit.
Und plötzlich ergeben sich neue Chancen
Das neue Selbstvertrauen ermöglichte mir etwas, was ich mir einige Jahre zuvor nie hätte vorstellen können: ich verließ 2019 die Klinik, lebte für ein Jahr in Frankreich und machte mich dort als Online-Coach selbstständig. Im Rückblick bin ich mir sicher, dass ich diese aufregende und fordernde Zeit vermutlich nicht überstanden hätte, wenn ich nicht schon das Impostor-Syndrom weitgehend im Griff gehabt hätte. Denn viele Selbständige hinterfragen sich immer wieder:
- Verspreche ich mit meinem Angebot zu viel?
- Wird das irgendwer kaufen?
- Darf ich diese Preise verlangen?
Immer wieder arbeitete ich daran, meine Zweifel zu hinterfragen und machte mir Mut. Der Erfolg gab mir Recht.
Nun helfe ich auch anderen
Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Kunden mit beruflichen Schwierigkeiten in mein Coaching, und bei vielen stellte ich das Impostor-Syndrom fest. So habe ich mich nach und nach immer mehr auf dieses Phänomen spezialisiert und darüber auch ein Buch geschrieben. Gerade weil ich selbst den Weg von der Assistenzärztin zur Führungskraft und dann in die Selbständigkeit gegangen bin, und diese Schritte nie bereut habe, begleite ich nun auch andere Menschen bei ihrer beruflichen Neuorientierung. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass dieser Weg nicht leicht ist, solange wir an uns selbst (ver-)zweifeln. Umso schöner empfinde ich es, dazu beizutragen, dass die Schritte dennoch möglich werden.
Zu sehen, wie meine Kund*innen nach und nach aufblühen, sich mehr zutrauen und mutige Entscheidungen für ihr Leben treffen, ist etwas ganz Besonderes. Ich habe eine Arbeit gefunden, die mir Spaß macht und mich erfüllt. Eine Arbeit, die mir leicht fällt. Dies wurde möglich, indem ich das Impostor-Syndrom in den Griff bekommen habe. Sie schaffen das auch!
Mein Leben in Kurzfassung
Medizinstudium, danach zunächst mehrere Jahre in der inneren Medizin und in verschiedenen Allgemeinarztpraxen.
Im Oktober 2009 Wechsel an die Uniklinik Tübingen als Ärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der psychosomatischen Abteilung.
Seit September 2010 Fachärztin für Allgemeinmedizin.
Seit September 2014 Fachärztin für Psychosomatik und ärztliche Psychotherapie, Schwerpunkt Verhaltenstherapie.
Von April 2017 bis März 2019 Oberärztin und ärztliche Leitung der psychosomatischen Tagesklinik.
Im Mai 2019 Erscheinen meines Buchs “Der kleine Saboteur in uns”.
Seit Juni 2019 selbständig als Online-Coach mit den Schwerpunkten Selbstsabotage und Impostor-Syndrom.
Im Mai 2021 Erscheinen meines Buchs “Und morgen fliege ich auf”