Häufiger als man denkt
Das Impostor-Syndrom ist häufiger als man denkt
“Alle meine Kollegen sind so viel kompetenter! Wenn ich nur auch so souverän und selbstsicher wäre wie die!”
Diesen Stoßseufzer habe ich nicht nur von meinen KundInnen immer wieder gehört, auch ich selbst habe mir das immer wieder mantraartig vorgesagt und geglaubt. Damals, als ich noch in der Klinik gearbeitet hatte, hatte ich viele meiner Kolleginnen um ihr professionelles Auftreten beneidet und mir gewünscht, ich wäre wie sie.
Vielleicht geht es Ihnen auch so. Vielleicht fühlen auch Sie sich als die einzige Person in Ihrem Arbeitsumfeld, die es einfach nicht drauf hat.
Aber können Sie sich vorstellen, dass nicht nur eine/r Ihrer KollegInnen, sondern sogar mehrere unter starken Selbstzweifeln leiden? Dass vielleicht sogar Ihr Chef sich unsicher und falsch in seiner Position fühlt?
Auch wenn Sie das für recht unwahrscheinlich halten sollten, so spricht die Statistik dafür:
- 70% der Bevölkerung kennen zumindest zeitweise die für das Impostor-Syndrom typischen Gedanken und Gefühle (Matthews 1984, Sakulku und Alexander 2011).
- 60% der in einer Studie befragten amerikanischen Psychologinnen fühlten sich wie Hochstaplerinnen (Gibbs, Reid und De Vries 1984).
- Etwa die Hälfte der Führungskräfte hat schon Erfahrung mit dem Impostor-Syndrom gemacht (Sonja Rohrmann).
- 90% der in einer Umfrage befragten Medizinstudierenden leiden unter einem Impostor-Syndrom (Rosenthal et al 2021).
- Drei Viertel der chirurgischen Assistenzärzt/Innen zeigen Hinweise auf ein Impostor Phänomen (Multicenter-Studie von 2021 (Anuradha R Bhama et al).
Diese Zahlen sind einfach überwältigend und machen deutlich, dass das Hochstapler-Syndrom sehr viel häufiger ist, als es den Anschein hat. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass es auch in Ihrem Arbeitsumfeld Betroffene gibt, die jedoch – wie die meisten – ihre Selbstzweifel für sich behalten.
Der häufigste Fehler: Nicht über die Selbstzweifel zu sprechen
Die meisten Menschen mit Impostor-Syndrom fühlen sich so falsch, dass sie sich nicht trauen, über ihre Gedanken und Gefühle zu sprechen. Genau das ist aber eine schlechte Strategie. Über die eigenen Selbstzweifel zu sprechen und sich nicht hinter einer Fassade zu verstecken, ist der erste Schritt heraus aus dem Impostor-Syndrom. Denn dadurch würden Sie die wichtige Erfahrung machen, dass Sie nicht als einzige unter diesen Gedanken und Gefühlen leiden.
Da die Betroffenen aber ihre Ängste und Zweifel für sich behalten, leiden sie lange Zeit unbemerkt vor sich hin, kompensieren ihre vermeintliche Unfähigkeit durch doppelten Einsatz, werden besser und besser und merken es gar nicht.
Auch das Umfeld begreift oft nicht, was mit den Betroffenen los ist. Nicht selten wirken diese ja trotz der inneren Verzweiflung und Überforderung nach außen souverän, strukturiert und kompetent – was sie ja auch sind, obwohl sie sich nicht so fühlen.
Wenn Sie sich also als einziger Mensch auf diesem Planeten unsicher, kindisch und irrational fühlen, denken Sie daran: Sie können sich nie sicher sein, ob der fähige Kollege, den Sie so bewundern, auch unter starken Selbstzweifeln leidet, sofern er sich nicht selbst dazu äußert.
Wen das Impostor-Syndrom am wahrscheinlichsten trifft
Mit dem Impostor-Syndrom sind Sie nicht allein. Viele sind davon betroffen. Im Rahmen der Impostor-Forschung konnte man erkennen, dass bestimmte Persönlichkeitszüge die Wahrscheinlichkeit erhöhen, im Lauf des Lebens ein Impostor-Syndrom zu entwickeln.
Besonders gefährdet sind Sie, wenn sie
- introvertiert,
- perfektionistisch oder
- neurotisch sind und außerdem einen
- geringen Selbstwert haben
Nicht jeder, der sich in einem oder mehreren Punkten wiedererkannt hat, muss zwingend ein Impostor-Syndrom bekommen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber deutlich höher, als wenn keine der oben genannten Eigenschaften vorliegen. Wie Sie herausfinden können, ob Sie vom Impostor-Syndrom betroffen sind, erfahren Sie hier.